... Kann mir das einer erklären, ...
So ganz erklären kann das wohl kein Mensch auf dieser Welt, aber ich kann versuchen, ein paar Sachen, die da mitspielen, zu erklären. Damit das ein Sonntagsnachmittagsbeitrag bleibt werde ich Einiges etwas überspitzt formulieren, also bitte nicht wortwörtlich nehmen, sonder mit ein bisschen

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Am Anfang steht sowieso ein Märchen. Das erzählen uns die Volkswirtschaftler und es heißt: >Unendliches Wirtschaftswachstum<. Die Mehrheit glaubt da dran, weil in der Vergangenheit hat es ja gestimmt und wir haben noch keine wirklich überzeugende Alternative. Teil des Märchens ist, dass der Konsum dafür immer neue Sachen braucht.
Also kommt jede Geschäftsleitung irgend wann, meistens regelmäßig, mit der Idee: >Wir brauchen ein neues Produkt!<. Also bekommt das Marketing den Auftrag, eine Lastenheft zu schreiben. Wenn man sich das ungefähr so vorstellt, wie wenn ein 7jähriger seinen Weihnachtswunschzettel schreibt, dann ist man nicht allzu weit von der Realität entfernt. Das weiß auch der Chef und fühlt vorsichtig bei der Entwicklung vor. Anhand der Hautverfärbung, Schnapp-Atmung u.ä.m. streicht er dann die schlimmsten Hirnfürtze raus. Lässt aber auch Einiges drin, das sind dann die Entwicklungsvorgaben für das Produkt:
- Welche Requirements (aka welche Leistung) muss es haben?
- Was darf es (maximal) kosten?
- Bis wann muß fertig sein? (Der Messetermin steht schon fest)
- Welche Vorschriften sind einzuhalten? (In Kurzform: alle!)
Die Entwickler spitzen ihre Bleistifte und kommen zu dem Ergebnis: Das geht nicht. Je nach Firma kommt dann eines von zwei Argumenten von der Geschäftsleitung:
- Die Konkurrenz hat das schon. Wir brauchen das auch. (Dass die Konkurrenz dafür andere Sachen nicht hat ist ja egal)
- Wir sind Weltmarktführer. Nur so können wir unseren Vorsprung halten!
Wie auch immer: kein Ingenieur will sich sagen lassen, er wäre unfähig, was Neues zu entwickeln, das besser ist als was altes. Also wird entwickelt, entwickelt, entwickelt, viel Geld ausgeben, viel Zeit investiert. Irgendwann, üblicherweise nach über der halben Zeit steht dann fest, dass es wirklich nicht geht. Der Unterschied: Jetzt haben die Ingenieure Messwerte, Tabellen, Diagramme, die beweisen, dass es wirklich nicht geht.
Jetzt muss die Geschäftsleitung irgend wo Abstriche machen.
- Leistung:
Geht gar nicht, weil die Angaben im Prospekt dürfen auf keinen Fall schlechter sein als bei der Konkurrenz.
- Kosten:
Entweder höherer Preis (geht nicht wegen der Konkurrenz)
oder weniger Gewinn (geht nicht wegen des Aufsichtsrats, der Aktionäre, der Börse, ...)
- Entwicklungsdauer:
Siehe Oben: MESSETERMIN! Wobei allein schon eine Nachentwicklung im Rahmen der beiden vorgenannten Punkte den Termin gefährden würde. Außerdem sind die Leute nach der Messe schon für das nächste Projekt verplant. Den Dominoeffekt will niemand.
- Vorschriften:
Jetzt sind wir beim Thema
Sie sind mittlerweile unendlich komplex, oft sehr schwammig formuliert, der Interpretationsspielraum ist groß, manchmal sogar widersprüchlich. Ich habe einen Artikel gefunden, der das ganze Dilemma sehr sachlich und gut recherchiert, weit abseits des üblichen >Wir-treiben-das-Schwein-durchs-Dorf-Journalismus< betrachtet:
Der vorläufige Stand der Dinge in Sachen Diesel-Stickoxide und Volkswagen | heise Autos
Aber es ist kompliziert, sie brauchen 7 Seiten, um es einigermaßen aufzurollen.
Zum Beispiel die Sache mit der Abschaltung. Abschalten ist verboten, aber Überschreiten der Grenzwerte, um den Motor vor Beschädigung zu schützen ist erlaubt. Jetzt wird natürlich die Motorelektronik nie ganz abgeschaltet, sonst bliebe die Kiste ja einfach stehen. Es werden nur andere Programmzweige durchlaufen, Parameter modifiziert, Dinge ignoriert. Wie lange der Betriebszustand anliegen muss, damit der Motor Schaden nimmt ist offen.
Jetzt gibt es immer drei Sorten Mensch:
- Die die die Vorschriften streng einhalten, wörtlich. Werden üblicherweise als Korinthenkacker bezeichnet.
- Die, die versuchen, die Vorschriften ihrem Sinn nach anzuwenden, dahingehend, was soll erreicht werden, weniger am reinen Wortlaut. Werden meisten als Bedenkenträger bezeichnet.
- Die die versuchen, die Vorschriften zu ihren eigene Gunsten auszulegen, mehr oder weniger zu dehnen, bis kurz vor dem Zerreißen. Die werden üblicherweise innovativ genannt.
Hört jetzt die Geschäftsleitung auf die 3. Sorte, und die hat sich geirrt, ein bisschen zu stark gezogen, dann ...
Das jetzt die Geschäftsleitung von VW sich entschlossen hat, sich nicht auf den Expertenstreit einzulassen, wie weit die Norm erfüllt wurde und in weit nicht, ist nachvollziehbar. >
Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand< ist nicht umsonst ein weit verbreitetes Sprichwort. Ob die Strategie, einen Deal auszuhandeln, einige Schachfiguren vorzeitig in den Ruhestand zu versetzen, um möglichst bald wieder wie vorher weiterzumachen, aufgeht wird die Zukunft zeigen. Wobei die geopferten Figuren Gehälter bekommen, die die Abfindung in Form eines Risikozuschlages für den Schleudersitz in mehr als ausreichender Menge enthalten. Insoweit hält sich mein Mitleid in Grenzen.
Als Besitzer eines QQ 2.0 Diesel habe ich ja auch schon am eigenen Leib erlebt, dass man sich der Problematik der Abgasreinigung auch anders entledigen kann, nämlich direkt zu Lasten des Kunden. Der Filter war ja schon ganz zu und die letzte extra Autobahnspritztour ist gut einen Monat her.